Tadschikistan - 2. Teil
01.09.2019 - 09.09.2019
Vor eintreffen in der grossen Hauptstadt wollen wir einen Augenschein vom Stausee bei Nurek nehmen. Diesen haben die Sowjets gebaut um das Land mit Strom zu versorgen. Es sieht eindrücklich aus. Im City Guesthouse in Dushanbe finden wir einen Standplatz mit den üblichen Annehmlichkeiten. Zufällig treffen wir auch eine ältere Dame aus Deutschland, deren Eltern damals in den 60er Jahren in den Gulag mussten. Das Straflager war bei Nurek und sie mussten zum Teil den Damm in Handarbeit auffüllen. In den 70er sind sie in die BRD abgeschoben worden. Sie versucht jetzt mit einem Besuch in die Vergangenheit die Jugendzeit zu verarbeiten. Nebenbei sind ihre Sprachkenntnisse sehr gefragt. Uns ist sie behilflich den Standort des Zollamtes und der Botschaft von Usbekistan zu finden. Es ist ja immer noch die Geschichte mit den 14 Tagen für unser Auto offen. Also, in der Botschaft sind sie mit unseren Fragen einfach Überfordert. Nach langem hin und her lautet deren Vorschlag einfach zu «versuchen» eine Woche früher einzureisen. Versuchen, nein Danke. Auf zum Zollamt und dort den Aufenthalt von Giovanni verlängern, das soll ja einfach gehen… Also, wir finden das Amt, den Zuständigen dauert etwas länger, aber er bemüht sich zu uns an die Pforte. Freundlich, zuerst Entschuldigt er sich für die verwirrenden zolltechnischen Gegebenheiten. Er versichert das Problem sei bekannt und es werde in Zukunft eine Lösung für die Reisenden im Land geben. Die Verlängerung des Aufenthaltes für das Fahrzeug sollen wir besser unterlassen, denn es sei eine Proforma-Einfuhr des Autos und es bedingt auch eine technische Untersuchung… Er empfiehlt uns ganz offen die Frist zu verletzen und gegeben falls eine Busse von 50.- US Dollar zu bezahlen. Mehr nicht, dann bitte ein Anruf bei ihm persönlich auf dem Mobiltelefon… das nennt sich Zollservice!
Jetzt sind wir wieder frei für unsere Erlebnistour in Dushanbe. Das heisst ein paar schöne Föteli von den schön gestalteten Bauwerken und Parkanlagen. Herausragend protzig der neue Präsidentenpalast mit Park. Daneben ein sagenhafter Schildbürgerstreich eben dieses Präsidenten: Der sehr hoher Fahnenmast als Wahrzeichen der Stadt: «Flaggstock» wird er oft genannt. Bis vor kurzem der grösste und längste (165 Meter) der Welt! Jedda in Saudi Arabien hat jetzt einen noch grösseren, vom selben Planungsbureau in Paris... Die seidene Fahne wiegt 700kg, die Baukosten sollen zweistellige US$ Millionenbeträge gekostet haben. Wohlverstanden in einem Land dessen Bevölkerung nur knapp ernährt ist und die Verkehrswege vorwiegend aus Löcher und Schutt bestehen… Allenthalben grosse Fotomontagen mit den Plänen für die «neue Stadt». Der alte Herr fühlt sich in Konkurrenz zu Kasachstan… Aber leider hat er nur 8 Mio. Einwohner, ein paar Ziegen und Steine. Kaum Bodenschätze zum verpfänden um all die Luftschlösser zu bauen! Weitere Probleme des Landes können gegoogelt werden, im freien Ausland…
Im modernen Dushanbe motzt und protzt es wo man hinschaut. Nur zwei Strassenzüge weiter schlimmste Zustände eines Drittweltlandes. Wir sind hin und her gerissen zwischen Staunen und Entsetzen. Die leidige Zollgeschichte nötigt uns die Pläne zu ändern und wir beginnen eine weitere Erlebnistour im Norden der Varzobschlucht, im ganz engen Seitental von Ob-i Garm. Das Reisebuch verspricht im renovierten (ex UDSSR) Sanatorium erholsame Bäder auch für Tagestouristen. Nach der angenehmen Fahrt ernten wir vor Ort jedoch nur Verständnislosigkeit, sie möchten unbedingt ein Attest für die verschriebene Kur sehen. Da es nicht nur aussieht wie in der Kaserne, sind wir froh noch recht gesund zu sein. So wenden wir uns dem neuen Skigebiet Safed Dara zu. Es liegt zwei Seitentäler weiter unten auf ca. 1700 m.ü.M. Das Tal hat sehr viele Bewohner, die das wenige Einkommen in einer Flussspatmine mit angeschlossener Verarbeitung oder aber mit der Haltung von ein paar Tieren erzielen. Macht die Mine schon eine riesen Sauerei, wird es noch getoppt durch den Bau der neuen Strasse zum Ski-Ressort. Das ist mit einer ganz neuen Kabinenbahn Made in Austria erschlossen. Das Reisebuch lobt das Konzept der ökologischen Pistenführung. Das ganze Skigebiet ist jedoch mit einem hohen Zaun umgeben, so können die Tiere der Talbewohner dort nicht mehr weiden. Das neue Pferdegestüt ersetzt jetzt die Kühe und Esel. Zufällig «gehört» es nicht mehr dem «Volk» sondern dem Schwiegersohn des Präsidenten… Die Familie ist Geschäftstüchtig, sie privatisieren alles mögliche, sogar Badeseen und Wasserfälle. Nahe eines Dorfes unterhalb finden wir endlich einen Stellplatz. Wir sind von allen Seiten gut zu sehen und sind bald von ein paar Jungen umgeben. Angriff ist die beste Verteidigung, wir erklären wo wir herkommen und zeigen Föteli der Familie und versuchen sie auszufragen. Sie kennen kaum russische Wörter, sie sprechen einen örtlichen Dialekt.
Zurück in Duschanbe verwöhnen wir wieder einmal Giovanni! Ölwechsel an Motor und Untersetzungsgetriebe sowie Abschmieren ist angesagt. «Die von der Tanke» (Ölwechseldienst) sind etwas Überfordert und bald bin ich wieder einmal in schwarz unter dem Auto. Derweil unterhält sich Theres bestens in vier verschiedenen «Sprachen» mit den aktiv und passiv Beteiligten. Am Schluss sind alle zufrieden und wir auf der Fahrt in den Süden. Wir wählen die A384, ein Fehler wie wir bald einmal festellen. Diese Strasse wird durchgehend von chinesischen Firmen neu gebaut. Eigentlich eine gute Sache, aber Baustellenfahrt ohne Unterbrechung bei dieser Hitze ist doch sehr mühsam. Abwechslung bringen die Obstplantagen und neu für uns: Baumwolle. Diese wird da und dort von fleissigen Händen gepflückt, aber die grosse Ernte steht noch bevor. Am Strassenrand gibt es Berge von Früchten und Gemüse zu kaufen. Letzteres ist ein recht eintöniges Angebot: Tomaten, Gurken, Kürbisse und Melonen. Auf diese verzichten wir schon länger, da sie öfters den «Türligieger» verursachten… Bei Obikiik sehen wir an der linken Talseite eine schmale, neue Teerstrasse. Sie ist sehr angenehm und führt in die lösshaltigen Hügel. Vorbei an einem herausgeputzten Weingut der «Herrscherfamilie» in ein staubiges Dorf. Ab hier die «übliche» Strasse in ein ehemaliges Minengebiet. Nicht ganz, Familienverbände bauen weiterhin ein weisses Gestein mit einfachsten Mitteln ab. Beide Seiten mustern sich staunend aber ein freundlicher Gruss lockert die Situation. Mit schöner Aussicht ins Tal beschliessen wir den Tag.
Auf der der A 384 fahren wir nach Qurghonteppa. (! min. 3 Schreibarten für diese Stadt!). Mit grossem Aufwand werden die Felder mit dem Wasser aus dem Vakhsh bewässert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Das ist wohl der Grund, dass hier der erste sowjetische Traktor in Betrieb genommen wurde. Er diente noch lange Zeit als Monument. Jetzt scheint er in Ungnade gefallen zu sein, wir fanden ihn nicht mehr. Der Löss aus den Hügelzügen dient als Grundstoff für einige Ziegeleien an der Strasse. Wenn der Mergel aber von Reifen zermahlen wird ist es wie Puder. Dieses Zeug kommt durch die kleinste Ritze in die hinterste Ecke des Autos, nur nass ist es noch schlimmer... Durch die durchaus sehenswerten ausgetrockneten Hügel kommen wir zur neuen Hauptverbindung in den Pamir. Im Geburtsort des Präsidenten, Dangara weht nicht eine der im Vakhshtal so vielen angetroffenen Nationalfahnen. Wie jedes Jahr soll doch am 9. der Nationalfeiertag gefeiert werden. Aber in dieser Region scheint es nicht viel zum Feiern zu geben…
Jetzt sind wir wieder unterwegs zum Nureksee. Die Strasse windet sich den Hügelzug hoch und völlig Überraschend fahren wir an der Gedenkstätte für die ermordeten europäischen Velofahrer von 2018 vorbei. Ein dunkler Schatten mitten am Tag, aber schon ist es Geschichte...
Mit Mühe finden wir einen Weg zum Ufer des Sees. Auf dem Gelände der örtlichen Wasseraufbereitung wird uns erlaubt die Nacht zu verbringen. Der Stausee bildet aber kaum Uferzonen die zum Baden einladend sind. Am späteren Abend kommt noch der Chef vorbei und lässt uns umparkieren. Er Befürchtet, dass unser Auto zu schwer ist und erneut ein Stück der Uferzone in den See bricht. Beim Rundgang am Morgen sehen wir von unten an die Steilwand und begreifen seine Bedenken. Die Wasserwerker beginnen nun auch mit dem Tageswerk. Mit dem beim Wasserbau üblichen Elan werden Pontons verholt, beladen und weggeschleppt. Zwei der fest vertäuten Kähne dienen als Pumpwerk für die Region. Wir fahren nach Nurek, die Schilderungen über den Bau des Schüttdammes haben uns neugierig gemacht. Wir können bestätigen, es ist ein mächtiger Damm und sehr hoch. Ein Militäraufgebot verhindert dass zu nahe bei kommen oder fotografieren. Den Auslauf des Wassers scheint kein verbotenes Motiv zu sein und ist sogar recht imposant.
Am Nachmittag erreichen wir die restaurierten Ruinen von Hisor. Es sind noch das Stadttor, eine Medrese (Koranschule) mit einem kleinen Museum zu besichtigen. Deutlich sind die Mauerresten einer Kawanserei, der Stadtmauer und der Wasserversorgung zu erkennen. Leider ist innerhalb des Komplexes ein Nachbau einer mittelalterlichen Festung à la Disneyland gebaut worden, an der sich kleine Kinder erfreuen dürften. Der gelobte Festungshügel ist leider wegen Bauarbeiten geschlossen. Ein freundlicher Herr im Museum gibt uns die Information wie ungerecht, dass das «Dorf» Dushanbe zur Hauptstadt erkoren wurde. Die Russen hätten das Bewusst gemacht, um die Tadschiki zu ärgern, wäre doch Hisor schon seit 2500 Jahre eine Hauptstadt. Zumindest war sie es bis ca. 1920, dann kamen eben die Bolschewiki und begannen mit ihrer Geschichte. Geschichten sollten zu Ende sein wenn es harmoniert und schön ist wie heute in Hisor...