Russland - 4. Teil

25.04.2019 – 01.05.2019

Schon auf der Ostseite des Yenisey, wechseln wir in Krasnoyarsk (wieder eine Millionenstadt) nicht mehr die Seite. So umfahren wir sie im Industriegebiet mit viel Schmutz und löcherigen Strassen. Ich vermisse meine 10er Stecknuss und hoffe etwas in der «Autostrasse» zu finden. Ein Geschäft folgt dem nächsten, alles ist jedoch gut hinter spiegelnden Fenstern versteckt und wir müssen eigentlich mehr Raten als das wir es lesen könnten. Da entdecken wir eine grosse Halle mit hohen Toren und irgendwas könnte auch Automobil heissen. Als wir vorfahren geht schon ein Tor auf und ein geschäftiger junger Mann winkt uns ins Innere. Wir staunen nicht schlecht, es ist keine Garage oder so, sondern eine Autowaschanlage. Eigentlich genau das richtige für Giovanni, also rein in die Halle. Da gibt es 8 grosszügige Waschplätze, in einen werden wir eingewiesen und schon steht eine Frau mit dem Bestellblock vor der Türe. Dank dem verständigen jungen Mann können wir der Auftragsempfängerin auch erklären, was den gewaschen werden soll. Aussen alles, Innen nichts. Gleich werden wir vom Wagen weggebeten, in das obere Zwischengeschoss. Da oben über den Waschplätzen können wir alles einsehen und wir sind echt fasziniert vom Geschehen unter uns, es wird geputzt und gewienert wie wild! Die Kassiererin ist von uns begeistert, denn sie kann entlich das in der Schule so hart gebüffelte Französisch an uns ausprobieren, also müssen wir uns zusammenreissen. Da möchte ich doch einmal bemerken, Leute zu treffen die eine Fremdsprache können ist im täglichen Umgang in Russland sehr selten! Man kann nicht davon ausgehen, und so muss halt immer eine möglichst fröhliche Geste aushelfen. Das ist eventuell auch schwierig, in Sibirien hat kaum jemand meine Gestik für Bezahlen oder Geld begriffen?! Na ja, an der Kasse nützen wir es aus und fragen nach dem Geschäft für die Stecknuss. Die angegebene Richtung stimmte, aber es war dann ein grosser Fitnessplast, im nächsten wurden Velos verkauft und dann endlich der richtige Laden, im ersten Stock war ich für kurze Zeit im «Autoparadies». Die Stecknuss wurde beinahe vergessen, es hatte da so tolle Sachen… nein, nein ich darf es einfach nicht! So ein schönes Ferrari-Pferdchen für die Kühlerfront von Giovanni…

So ein sauberes Auto ist schon eine tolle Sache! Immer weiter geht es nach Osten und am Nachmittag erreichen wir die Industriestadt Kransk. Vor der Stadt liegt ein grosser Militär Flugplatz und eine Luftradar-Station mit gigantisch grossen Radarantenen. Mit diesen Dingern können sicherlich die Spatzen auf den Dächern geortet werden. Die Stadt selber, etwas vom schlimmsten dass wir gesehen haben! Dreck und Plastikabfall überall und einen gelben, reizenden Smog in den Strassen von den Industriebetrieben, schrecklich. Ich erzähle es ungern, denn ich möchte eigentlich die guten Erlebnisse ins Zentrum rücken! Aber Russland hat nach unseren Vorstellungen ein grosses Umweltproblem! Je weiter nach Osten um so schlimmer. Der Müll wird zur Hauptsache irgendwo in einem Wald verscharrt. Wenn die Abwässer nicht direkt in einen Fluss entsorgt werden landen sie in Sickergruben. Auch bei neueren Wohnblocks ist das Schild für den Abwasserpumpwagen deutlich auszumachen und mehrmals mussten wir die Güllepumpwagen ausserhalb der Stadt beobachten und «riechen» wenn sie auf Entsorgungstour waren...

Die Weite der Landschaft und die hilfsbereiten Menschen entschädigen uns wieder. Der Trans-Sib wird wieder unser Begleiter. An einem Bahnübergang können wir ein Foto schiessen und genau die Wagons zählen, die die drei Triebköpfe an uns vorbei ziehen. Es sind, ja eben, so ca. 100 Wagons à 4 Achsen, also unwarscheinlich viele! Am nächsten Übergang, ca. 60km weiter, warten wir wieder und die zwei Lokführer winken uns zu, das macht schon Spass!

Immer noch sind wir auf der P 255 unterwegs. Seit wir im Irkutskaya Oblast sind, nicht mehr nur nach Osten, sondern stark Südöstlich. Die Uhr mussten wir auch wieder eine Stunde nach vorne drehen. Wenn es so weiter geht haben wir noch einen Auto-Lag bei unserer Ankunft am Baikalsee… Über Tag ist es auch deutlich wärmer und wir haben auf kurze Ärmel umgestellt. Am Schatten benötigt man jedoch schnell wieder eine Jacke. Ab Zima sehen wir sehr viele Bergwerke die Kohle fördern und drei grosse Kohlenkraftwerke, die ohne Hemmungen Qualmen was das Zeug hält.

Die Gegend zwischen Cheremkhovo und Angarsk ist wie früher das Ruhrgebiet: jeder Ort hat seine Mine oder ein entsprechender Weiterverarbeitungsbetrieb. Die Luft ist sehr schlecht und Therese spührt es an den Bronchien. Überraschend sehen wir nachgebildete Mammuts an der Strasse mit einem Hinweis auf ein Museum. In 2005 hat man ein Tier gefunden und es soll Konserviert sein. Jedoch nach dem dritten Richtungspfeil ist "Ende der Fahnenstange", wir können nicht weiter ausfindig machen wo sich das Museum befindet und Fragen hilft auch nicht weiter, Schade.

Am späten Nachmittag kommen wir nach Irkutsk und fahren gleich weiter an den Baikalsee bei der Insel Olchon. Dabei überqueren wir den Angara und sehen den Handelshafen von der Brücke hinunter, natürlich bin ich wieder beeindrukt… für diese Nacht können wir endlich wieder ein schönes Birkenwäldchen finden und das Abendessen mit Sicht auf das Tal von Oyek geniessen.

Endlich, nach 10'200km Fahrt erreichen wir den Fährhafen von Sakhyurta am Baikalsee, wo wir gerne auf die Insel Olchon übersgesetzt hätten. Ein neuer, sehr moderner Fähranleger und im Bereich der Fahrroute der eisfreie Baikalsee. Aber es findet sich niemand der genau Auskunft geben könnte, wann den die Autofähre den Betrieb aufnehmen wird. Die beste Auskunft kommt von einem Chauffeur: am 1. Mai soll es aufgehen, möglich ist der 9. Mai und fast sicher am 15. Mai...
Fleissig fährt ein ehemaliges Fischerboot die Reisewilligen hin und her, den grossen Eisschollen weicht es geschickt aus! Dennoch sind wir sehr beeindrukt vom See, auf dem noch immer grosse Eisansammlungen zu sehen sind. Grosse Teile sind Eis frei, aber hinter der Insel Olchon und der Hafenbucht ist das Eis noch geschlossen.

So fahren wir denn in die Hügel vor Sakhyurta um von oben einem guten Überblick auf den See zu bekommen. Auf der anderen Seite sind die verschneiten Berge der Ulan-Burgasy Kette gut zu erkennen. Unseren Platz finden wir 25 Meter über dem See mit einer tollen Aussicht auf die Eisflächen, super! Ich habe von den Süsswasserrobben gehört die hier leben und sehe auf einer Eisscholle zwei Tiere, die spitze Schreie ausstossen. Das Fernglas zeigt es jedoch deutlich, es sind Möven die sich erholen. Der Baikalsee hat einen besonderen Stellenwert unter den Naturresevaten dieser Erde! Es sollen 200 Arten sein, die nur hier vorkommen, unter anderen die eben genannten Robben. Möge der Mensch ihnen gnädig sein...

In der Nacht kommt ein starker Sturm auf. Der Giovanni wackelt und ächtst dermassen, dass ich irgendwann nach Mitternacht verholen muss und seine Front genau in den Nordwest-Wind stelle, so wird es deutlich erträglicher. Am Morgen staunen wir dann nicht schlecht! Wunderbarer Sonnenschein und das Eis ist weggeblasen, ein wahnsinns Kontrast! Da ist klar, einen Weg hinunter an das Ufer suchen ist Pflicht. Nun, so angestrengt mussten wir nicht suchen, es gab genug Fahrspuren von Geländefahrzeugen. Einige so halsbrecherisch, dass wir es nicht zu Fuss versuchen wollten! Der See war klar und er Beeindruckte uns auch an seinem Ufer! Theres ist weniger temperaturempfindlich, sie wagte als erstes ein Fingerbad. Das Wasser ist echt eiskalt… Als wir wieder oben am Wagen standen kam die Eisfläche wieder unerbittlich näher. Das mit der Fähre nach Olchon können wir abschreiben.

So machen wir uns auf den Weg zurück nach Irkutsk, dass wir für unser nächstes Ziel am Baikalsee so oder so durchfahren mussten. Hinter dem Palast 9. Mai (Siegestag der roten Armee über die Nazis, noch heute der Nationalfeiertag in Russland) in einer Seitenstrasse konnten wir parkieren und einige wichtige Gebäude in der Umgebung anschauen. Angefangen haben wir beim Znamensky Kloster aus der Gründerzeit der Stadt. Dort im kleinen Park ist seit 2004 ein Denkmal für den tschechischen Admiral Kolchak. Er befehligte die «weisse Armee» im Auftrag des letzten Zaren (bei Interesse unbedingt lesen! Hochspannend wie er seine Mannen durch ganz Russland brachte!). Er selber schafte es nicht und wurde an dieser Stelle von den «roten» Hingerichtet. Hinter dem Palast zum 9. Mai übten Kinder in Uniform mit dem russischen Stechschritt die Wachablösung am Grabemal mit der ewigen Flamme. Diese wird am 9. Mai in Gedenken an die Gefallenen im 2. Weltkrieg vor viel Publikum demonstriert. Etwas pervers, für die Übungt dienten als Publikum Kindergärteler die Spalier stehen mussten… Russen und Uniformen, auch sehr interessant. Fischer, Jäger und viele Landarbeiter tragen einen wattierten Kampfanzug, fast zu jeder Tageszeit und Tätigkeit. Hier in Sibierien ist es auffällig, die Sowietunion wird regelrecht vermisst. Früher soll alles besser gewesen sein! Für viele Menschen war das Leben «einfacher». Für fast alle gab es gleich viel, jetzt muss für alles bezahlt werden und man soll auch noch selber an das Notwendige denken. «Früher» wurde es befohlen... Ein erstaunlicher Anteil der Bevölkerung schafft es nicht und verbringt die Tage mit Fischen und der Vodkaflasche, die, wenn sie leer ist, gleich an Ort und Stelle wegeschmissen wird…

Weiter ging es durch die grosse Stadt und zufällig kamen wir am Musikpalst vorbei mit einer Demonstration der Feuerwehr Irkutsk. Sie stellten ihren Fahrpark der Bevölkerung vor und warben mit einer Kraftstrotzenden Schau für ihr Anliegen. Die Ausrüstung kann sich durchaus sehen lassen und auch hier git es einige museale Stücke zu bewundern (nicht nur in Basel).

Der Fluss Angara entwässert den Baikalsee. Vor der Stadt wurde ein Damm mit Kraftwerk errichtet. Im Oberwasser liegt der 100 jährige, Dampfbetriebene Eisbrecher «Angara» der für ein paar Jahre im Dienst der Trans-Sib möglichst lange eine Fahrrinne über den See freigehalten hat. Dieses Museumsstück mussten wir natürlich besuchen. Das wesentlich grössere Fährschiff «Baikal» konnte ca. 300 Personen und ein paar Wagons mit einer Dampflokomotive aufnehmen. Sie ist nach einem Brand an Bord vor Port Baikal gesunken. Es war der Auslöser für den Bau der Bahnlinie um die Südwest-Spitze des Sees. Die «Angara» ist noch mit Geschützen ausgerüstet auf dem See eingesetzt worden. Im grossen Vaterländischen Krieg soll sie Fliegerangriffe von japanischen Kampfflugzeugen abgewehrt haben…

Im Ethnographischen Freilichtmuseeum Taltsy, auf halbem Weg von Irkusk zum Baikalsee, können wir Einblicke in die unterschiedlichen Völkergruppen nehmen, die sich um den See im laufe von Jahrtausenden angesiedelt haben. Es sind ernst zu nehmende wissenschaftliche Meinungen, die auf der Grundlage von Funden, in Sibierien eine Wiege der Menschheit sehen. In 2005 hatte der kleinste Volksstamm weniger als 5000 Seelen, dennoch gelten sie als Stammvolk der Nordamerikanischen Ureinwohner. Es sind sehr viele Übereinstimmungen festzustellen, am eindrücklichsten sind heute die genetischen Abgleiche. Bräuche und Schamanen Rituale zeigen ebenfalls grosse Ähnlichkeiten, so ist die Festkleidung eines sibierischen Schamanen kaum von der Tracht eines Nordamerikanischen Indianerhäuptlings zu unterscheiden. In Russland sind heute noch 195 unterschiedliche Völkergruppen nachgewiesen. Genug der Abschweifungen, nach so viel Geschichte geht es weiter zum See bei Listvyanka, um einen der berühmten Omul Fische zu verspeisen.

Der Fisch schmeckte vorzüglich. Wir waren jedoch keineswegs alleine vor Ort! Am 1. Mai zog es die Stadtmenschen von Irkusk an «Ihren» noch teilweise vereisten Strand. Alles war mit Autos zuparkiert und jeder wollte einen Omul, gebraten, gekocht oder der Favorit, geräuchert. Neben entsprechenden Gaststätten gab es etwas ausserhalb gedeckte Picknick-Tische zu mieten, es war eine echte Schau…

Wir entzogen uns dem Getümmel und machten uns auf, mit dem Sessellift den «Czerski Peak» zu erreichen (Jan Czerski, ein radikaler Erneuerer gegen den Zaren, wurde als junger Mann nach Sibierien ins Exil geschickt. Es war ihm etwas Langweilig, so bereiste er ganz Sibierien und machte Aufzeichnungen, die bis heute an Universitäten gelesen werden. Er wurde auch der «reisende Geograph» genannt). Von dieser Hügelspitze führen zwei Skipisten ins Tal (ca. 800m) und die Aussicht auf den Baikalsee mit der Abflussmündung des Angara Flusses und auf die Anlagen von Port Baikal ist prächtig! Die Fahrt mit dem russischen dreier Sesseli war sehr entschleunigend, wir genossen es sehr… Ihr hört wieder von uns aus der Teilatonomen Republik Burjatien.

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