2019

Russland - 3. Teil

von
veröffentlicht am

18.04.2019 – 24.04.2017

Auf der Fahrt nach Jekaterinburg durch den nördlichen Ural haben wir bei der Stadt Nizhniy Tagil den 60 Längengrad passiert, somit haben wir eine Kontinentale Grenzlinie überschritten (gem. unserer Karte). Erwartungsgemäss ist es recht frisch, das Landschaftsbild verändert sich jedoch kaum. Erstaunlich, wie in den langen Abschnitten zwischen den grösseren Orten die medizinische Versorgung aufrecht gehalten wird. 2 Container dienen als Ambulatorium, ein Rettungswagen steht bereit und ein Heli-Landeplatz ist auch eingerichtet. Auffällig sind die zahlreichen (trist-grauen) Orte, die sich im Umfeld von Minen befinden. Der Ural ist für seine Bodenschätze bekannt.

Von Norden fahren wir in das Stadtzentrum von Jekaterinburg. Zuerst einmal sind wir richtig erschrocken, die Strassen voller Löcher, nasser Sandschlamm (Streusand), Schmutz und Häuser in bedenklichem Zustand. So haben wir uns die Perle Sibiriens nicht vorgestellt. Südlich der Trans- Sib Bahn wird es dann sehr modern, leider gibt es auch hier immer wieder Zerfallserscheinungen, mal eine Treppe in Auflösung oder Randsteine die fehlen… Das eigentliche Zentrum der Stadt mit seinem Stausee ist jedoch angenehm um zu promenieren.

Gegründet hat sie Zar Peter der Grosse und sie entwickelte sich schnell. Eher traurige Berühmtheit erlangte die Stadt durch die Ermordung der letzten Zarenfamilie 1918 durch die roten Revolutionäre. Geschehen ist das im Ipatjew Haus. Das wurde später auch abgerissen um zu vermeiden, dass sich ein Wallfahrtsort entwickelte. Nach Glasnost wurde an der Stelle die Heilig Blut Kathedrale erbaut und jetzt ist es ein Mega-Wallfahrtsort für die Freunde der Monarchie!

Hinter dem Kongresszentrum fanden wir einen freien Parkplatz und so konnten wir einen ausgedehnten Stadtspaziergang an der Mittagssonne geniessen. Mit grossem Genuss lassen wir uns wieder einmal Fritten im KFC aufs Tablett packen. Solchermassen gestärkt können wir uns am späten Nachmittag weiter gen Osten bewegen.

 

Weiterhin nutzen wir die Annehmlichkeiten von modernen Truckstops. Unangenehm, wir stellen fest, dass die Internetverbindung Unterbrochen wurde. Nicht nur die russische Karte, sondern auch die deutsche Medion Karte verweigert ihren Dienst. Einzig M- Budget hält wacker eine Verbindung aufrecht, zu astronomischen Preisen wie wir jetzt wissen. Die Hügelzüge des Ural liegen hinter uns und es wird zunehmlich eine Sumpflandschaft. Die Strasse ist wie ein Damm und diesen zu verlassen kaum möglich. Dafür sehen wir Wildgänse, Kraniche und Vieherden, ja sogar Pferdeherden. Das war das erste mal, dass wir weidende Nutztiere erblickten.

Ein paarmal kreuzen wir die Strecke des Trans-Sib und staunen ab den XXXL Güterzügen, die schwer beladen von zwei oder drei grossen Loks durch die Lande gezogen werden. Container- Blockzüge sind mit 4 TEU (2 grosse Container) pro Wagen unterwegs. Ebenfalls XXXL die Bautätigkeit in der Stadt Tyumen, Stadtautobahnen, Hochhäuser für neue Wohnviertel, es geht zu und her wie in einem Bienenstock. Mal mehr mal weniger führt uns die Strasse entlang der Trans- Sib.

Wir kommen aus der Tiefebene (+/- 75 Meter ü.Meer) wieder in erhöhte Landschaften (+/- 130 Meter über Meer). Stellt es Euch einmal vor: Basel liegt auf 280 Meter und nach 830km erreicht der Rhein die Nordsee, die Flüsse hier fliessen ebenfalls nach Norden und erreichen das Eismeer nach 2500km, es gibt also kaum ein Gefälle. Der Vorteil einer etwas erhöhten Lage ist sofort festzustellen, es wird wieder Ackerbau betrieben. Mal in XXXL oder aber einfach nur für den Eigenbedarf.

Die Felder und Wege scheinen trocken zu sein. So versuchen wir ein gutes Stück vor der Stadt Ishim wieder einmal in einem Birkenwäldchen zu nächtigen. Es wäre doch so viel ruhiger ohne den nächtlichen Strassenverkehr oder der Kühlaggregate von LKWs in der Nachbarschaft. Prompt bleiben wir beim verlassen des Weges im Wassergraben stecken. Alle vier Räder drehen in der nassen Erde ohne Haftung. Ein Bauer kommt von seiner Behausung mit seinem «Komissbrot» (ein leichter 4x4 von GAZ, der in vielen Varianten weit verbreitet ist) vorbeigefahren und er bietet sich sofort an, uns Vorspann zu leisten. Er braucht nur kurz anzuziehen und wie wir etwas Grund unter den Rädern haben sind wir wieder frei.

Oblast Hauptstadt Omsk, wieder eine Millionenmetropole, liegt am Ufer des Irtysh. Dieser grosse Fluss entwässert mehr oder weniger ein weitreichendes Gebiet bis hinein nach Kasachstan. Er wird dann weiter im Nordwesten des Omskaya Oblast recht träge und hinterlässt riesige Sümpfe. Bei der Stadt Tobolsk muss er noch den Fluss Tobol aufnehmen und ist mit seiner Aufgabe, dass Land zu entwässern endgültig überfordert. 420km weiter im Norden, bei der Stadt Khatnty-Mansiysk nimmt der Strom Ob die Wassermengen auf, aber die Sümpfe werden nicht weniger. Entschuldigt, da ist der Schiffer mit mir durchgegangen, denn alle diese Flüsse sind im Sommerhalbjahr von Binnenschiffen befahren. So sehen wir denn beim überqueren des Irtysh in Omsk, oh Wunder, farbig angestrichene Hafenkräne. Hier auf der Stadtumfahrung werden wir durch einen sehr smarten Polizisten kontrolliert. Er weiss genau was er will und es ist der erste, der auf Anhieb unsere Papiere auch richtig einordnen kann. Jedenfalls dürfen wir unsere so mühsam erworbene Versicherungskarte vorweisen, er lässt uns mit einem perfekten «auf Wiedersehen» weiterfahren...

Knapp oberhalb des 55 Breitengrades, das Trasse des Trans-Sib immer wieder im Blick, kommen wir zügig nach Novosibirsk. Wir meiden nach Möglichkeit diese grossen Städte. Keine bietet wirklich etwas besonderes, alle verweisen auf Kathedrale, Theater, Oper und ein überkanntiteltes Regierungsgebäude als die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Aber das ein und wieder aus der Stadt finden ist meist sehr stressig, so lassen wir es den bewenden. Es wird immer deutlicher, der Frühling ist angebrochen. Bei grösseren Orten wird von Bauern kompostierter Mist direkt ab Lieferwagen verkauft und der ist bei den vielen Kleingärtner sehr willkommen. Beim überqueren des Ob fährt ein Schubverband mit zwei Leichtern unter uns vorbei, wir sind Happy.

Wir haben vernommen, dass die Stadt Tomsk noch sehenswerte Holzhäuser aus der Gründerzeit erhalten hat. So wenden wir uns den wieder etwas mehr nach Norden, um nach einem «kleinen» Umweg den Ort zu erreichen. Wir haben ein riesen Glück, genau auf der gewählten Strasse in die Innenstadt stehen die meisten dieser Häuser. So gibt es am Anfang gleich das Highlight zu sehen. Einige der Häuser sind wirklich sehr schön. Dann können wir am Fluss, hinter einem Komplex der Stadtverwaltung einen Parkplatz ergattern. Beim Spaziergang zum zentralen Platz, der immer noch von einer Lenin Statue eingenommen wird, kommen wir an einem Geschäftssitz unserer russischen MTC Simkarte vorbei. Da stechen wir natürlich gleich hinein um zu erfahren warum wir keine Verbindung mehr haben! Weiter im Glück werden wir vom Wachpersonal an einen englisch sprechenden Mitarbeiter verwiesen. Sehr freundlich der Empfang des Verwaltungsmenschen, denn in unserem Eifer haben wir den Eingang für die Mitarbeiter erwischt. Er kommt mit uns um die Ecke zum Service Center und weicht nicht von der Stelle, bis wir eine funktionierende neue Simkarte haben. Genau wollen sie nicht wissen, warum wir zwei Wochen zu früh «abgeklemmt» wurden, aber vermutlich haben wir halt zu viele Dateneinheiten beim senden der Berichte verbraucht, deshalb geht es jetzt nicht mehr so schnell mit den Neuheiten von uns ;-)

Beim hinaufsteigen zum alten Fort und einer schönen Replika Holzkirche aus der Gründerzeit kommen wir beinahe ausser Atem. Beide stellen wir fest, dass wir eher besseren Schnauf haben beim laufen als bei Reisebeginn, dass wäre ja Begrüssenswert. Denn von unserem täglichen Frühsport ist nicht viel mehr als der gute Vorsatz geblieben.

Von Tomsk machen wir einen Bogen nach Osten und nach einer einsamen Fahrt mit viel Wald kommen wir wieder auf die P 255, «unsere» Strasse. Die Hügelzüge werden mehr und der Wald dichter. 60km vor der Reginonalmetropole Krasnoyarsk nehmen wir eine Nebenstrasse weiter durch den Wald nach Süden. Nach weiteren 100km kommen wir bei Divnogorsk an das Ufer des Bolshoj Yenisesy. Die Hügel rücken an dieser Stelle so eng zusammen, dass zu beginn der 1970er Jahre an dieser Stelle ein 72 Meter hoher Staudamm gebaut wurde. An und für sich ja nicht so besonderes, denkt ihr sicherlich. Aber oha lätz, der Stausee Krasnoyarsk, wie er bald genannt wurde ist über 300km lang! Alleine das Quellgebiet vom Bolshoj Yenisesy (südlich der Stadt) ist ungefähr so gross wie Deutschland, Östereich und die Schweiz. Weiter im Norden nennt man den Fluss einfach Yenisesy. Er Durchfliest den Krasnoyarskiy kray bis ins Nordmeer.

Der Bolshoj Yenisesy war ein stark befahrener Strom. So beschlossen die Apparatschik in Moskau, mit dem Staudamm auch ein Schiffshebewerk zu errichten. Das ist aber erst zwei Jahre nach dem Damm fertig erstellt und die Prüfungen für die Betriebserlaubnis dauerten nochmals zwei Jahre. 1976 soll es den Betrieb als das damals grösste und höchste Schiffshebewerk der Welt aufgenommen haben, erst die Chinesen mit den Schleusen am Dreischluchten Damm haben die Soviets übertrumpft. Bis zum Glasnost, also während der sowjetischen Planwirtschaft, sind pro Jahr 600- 700 Frachtschiffe über den Damm gehoben worden. Nach dem Ende der Planwirtschaft gingen die Schiffsbewegungen stark zurück. Die zwei Strassen in den Süden sind repariert und modernisiert worden. Am Ende blieben noch Getreide und Holztransporte im Herbst über, aber zur Zeit fehlt das Geld für aufwendige Revisionen. Ein Mitarbeiter ausserhalb der Absperrungen versucht uns mit Gestik zu vermitteln, dass eine Eröffnung für diesen Hebst nicht gesichert ist und Fotografieren ohne Erlaubnis sei nicht erlaubt, sonst bum - bum…

Nach einer äusserst geruhsamen Nacht am Yenisesy kamen wir am anderen Morgen an einen schönen Aussichtspunkt und genossen noch einmal die eindrückliche Landschaft am Strom...

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