2019

Russland - 6. Teil

von
veröffentlicht am

14.06.2019 - 26.06.2019

Die Grenzabfertigung zur Ausreise aus der Mongolei wird uns wohl immer in Erinnerung bleiben. Haben wir doch extra vor dem Tor zum Abfertigungsgelände Übernachtet. Leider ist dem guten Willen der Grenzbeamten das Militär in die Quere gekommen und es wurde nach deren materiellen Vorstellungen die Fahrzeuge zur Abfertigung vorgezogen. Dann trudelten noch Nachzügler der Peking-Paris Rally ein, auch diese wurden den regulär in der Reihe wartenden Autos vorgezogen. Endlich im Abfertigungsgelände, ging alles seinen normalen Gang und eigentlich recht zügig. Schlag Mittags erreichen wir den die Passhöhe unter dem Durbet-Daba wo uns zwei junge russische Soldaten mit einem fröhlichen «welcome to Russia» begrüssten. Den russischen Zollpapierkram wurde dann unten im Dorf Tashanta zum nachmittäglichen Unterhaltungsprogramm. Bei Problemen wurde aber freundlich geholfen, so dass sich so etwas wie «Heimkommensgefühle» bei uns bemerkbar machten. Etwas Schadenfreude kommt auf, dass einigen der beschädigten Fahrzeuge der Rally, die Weiterreise nur auf einem LKW erlaubt wird…

In der Ortschaft Tashanta beginnt für uns die Reise auf der Traumstrasse der russischen Föderation, dem «Chuysky-Trakt» Die Strasse verbindet die Mongolei mit der Industriemetropole Novosibirsk, 900km im Nordwesten. Traumhaft schöne Gebirgsstrecken in der Republik Altay, interessante Städte wie Biysk und Gebirgsbäche die schlussendlich den grossen Strom Ob entstehen lassen. Noch ist es nicht so weit und wir durchqueren vorerst die grosse, wüstenartige, jetzt sumpfige Ebene um Kosh Agach. In dem Städtchen können wir uns sehr gut für die weitere Reise verpflegen, endlich die zwei Reifen auswuchten lassen, eine prepaid Datenkarte organisieren und wieder einmal Euro-Diesel tanken. Die Feststellung, dass die Travel Cash Karte funktionierte, wirkte zumindest beruhigend.

Nach einer verregneten Nacht machten wir uns auf den Weg nach Kuray. In den kurzen Aufhellungsphasen konnten wir die schneebedeckten Berge um uns bewundern. Im Norden die 3'000er des Kurayskiy Gebirges und in einem südlichen Bogen die 4'000er der Severo und Yuzhno- Chuysky Ketten. Die angepriesene NP Verwaltung für ein Zugangspermit zum «blauen See» bleibt uns verborgen. Nachfragen sind partout nicht verständlich und der Regen in den letzten Tagen lassen ein überqueren der Flüsse und Bäche auf dem Anfahrweg nicht zu. So müssen wir denn unsere Planung wieder einmal ändern. Die Nacht verbringen wir am Chuya Fluss. Die Natur um uns ist explodiert. Wir stehen im grünen Gras, es hat die unterschiedlichsten Blumen und kräftige wohlriechende Kiefern, fortgeschrittener Frühling auf einen Schlag!

Kurz vor Aktash kommen wir doch noch zu einem kleinen See. Er ist nicht blau, kann aber mit den Quellen an seinem Grund unterschiedliche Muster ausbilden. In Aktash biegen wir nach rechts in die Berge ab um auf einem Hochplateau weitere romantische Flecken zu entdecken. Beim Hochfahren kommt uns wieder der grüne NL MB Truck entgegen. Bei einem kurzen Schwatz tauschen wir Neuigkeiten aus. Be erzählt von einem Pass hinunter in eine Schlucht… gut zu wissen, auf unsere Karte findet sich nichts dergleichen. Wir kraxeln dann weiter um im frühen Nachmittag am Turbazasee ein Plätzchen zu finden. Auf dem alpinen Hochplateau sind unzählige Seen und Tümpel, die aber schwierig zu erreichen sind (auch zu Fuss!). So haben wir denn Glück, dass der einfache Pfad zur «Hotelanlage» von Olga führte. Sie und ihre Leute sind streng beschäftigt, um für die kommende Hochsaison die einfache Anlage auf Vordermann zu bringen. Stolz zeigt sie uns die neue Solaranlage, neue Gästehäuschen und das Treibhaus für das Biogemüse. Sie erzählt von einem schönen Berliner Kulturaufenthalt in ihrer Jugend.

Olga nötigt uns hier zu nächtigen. Ich darf auf dem Bootsanleger meine erste Erfahrung mit Fischen ausleben und wie es der Vormann voraussagte, ohne Erfolg. Nach Feierabend geht Olga und ein Teil der Mitarbeiter ins Städtchen Ust-Ulagan. Von Bezahlen will sie nichts wissen, die Ferienzeit sei noch nicht eröffnet und wir sollen Deutschland grüssen, wenn wir da mal vorbeikommen. Der Vormann und einer der Gehilfen fahren mit dem Boot hinaus um die ausgelegten Netze zu prüfen. Mit einem schönen Fang kommen sie zurück. Mittlerweile haben wir richtig Lust auf Fisch und es geschieht, wie jedem erfolglosen Angler, er kauft sich seinen Fisch. Sie schmeckten wunderbar!

Be und Magriet erzählten doch von dem schluchtenartigen Tal am Chulyshman Fluss… Also wollen wir uns dieses doch anschauen. Durch sanfte, wunderbare Berglandschaften, ähnlich dem Jura, fahren wir auf einer recht guten Strasse / Piste. Nach dem Dorf Balyktuyul kommt eine Gruppe Motorradfahrer angebraust. Der Anführer winkt schon von weitem und bringt seinen Töff neben uns zum stehen. Kaum zu glauben, unter dem Helm steckt Moritz, der Eigner des TP Camps in Ulan Ude. Er ist hier auf «Gästefahrt» mit 8 Herren aus Deutschland. Er fand es toll, dass wir hier im Abseits unterwegs seien und empfahl uns dringend in das Tal zu fahren, bis an den See Teletskoye! Moritz wirkte sehr überzeugend und nach dem kurzen Schwatz am Strassenrand stand es für uns fest: auf zum Teletskoye See.

Also, der Moritz ist schon ein Optimist. Wenn man denn über dem Taleinschnitt steht und hinab schaut… Wir sind hinunter gefahren und genossen die schönen Aussichten auf die steilen Flanken der Berge. Im Tal wird gebaut was das Zeug hält. Scheinbar jeder will am touristischen Erfolg im Altay teilhaben und baut sich eine entsprechende Anlage. Anders als im Altay üblich, sind in den drei kleinen Dörfern zur Hauptsache Russen anzutreffen. Die Ortsschilder weisen auf eine Besiedelung des Tales um das Jahr 1872-74. Da hat wohl ein Zar ein paar unbequeme Zeitgenossen über den Teletskoye See gebracht, jetzt schaut mal wie ihr klar kommt… Die Kommunisten kamen dann auch mal vorbei, eine der zerstörten Kirchen ist jetzt wieder im Aufbau. Jedenfalls verstehen sie sich hier auf die Viehzucht. Prächtige Rindviecher und Pferdchen stehen auf den Weiden.

In der Nacht kommt wieder einmal Regen auf. Mit wechselndem Wetter, mal warme Sonne, dann wieder Regenschauer, fahren wir durch das Tal. Bewundern die Wasserfälle in den steilen Gebirgsflanken. Insgeheim denken wir an die steile Ausfahrt auf dem Rückweg, wenn es da nass sein sollte… müssen wir abwarten bis es trocken ist.

Zur zweiten Teezeit kommen wir eigentlich an das südliche Ende des Sees. Eigentlich, weil ich nicht in die Schlammlöcher von anderen Wagemutigen fahren will, bleiben wir denn 400m vor erreichen des Fährhauses stehen und legen die letzten Meter zu Fuss zurück. Für alle die mit der Fähre die nächsten 120km zurücklegen möchten, es wird mit Brettern und Balken ermöglicht… Die Fähre ist gerade vor Ort und es wird Baumaterial aus Artysbash entladen. Wir sind uns sicher, genau hier ist das Ende der Welt erreicht… Aber es ist eines der schönsten Weltenden das wir kennen! Und es ist gar nicht so abgelegen, schlussendlich hat es die Fährfrau auch gefunden, sie stammt aus Riga im Baltikum. Entsprechend gibt es hier im Kaffee Leckereien von weit her.

Die Rückfahrt gestaltet sich zügig und das Wetter spielt an diesem schönen Tag auch mit. Die Serpentinen sind trocken, so dass wir diese in Angriff nehmen können. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Steigung (bis 25%) an sich, sondern an den ausgefahrenen Stellen.Ist die Geschwindigkeit zu hoch, beginnt das Fahrzeug zu hüpfen und verliert die Haftung. Für Giovanni lag die optimale Gangstufe in der 2. Untersetzung. Das Standgas auf das maximale Drehmoment eingestellt und er ackerte sich brav mit 9km/h nach oben. Den modernen SUV, dem ich im Wissen um unsere Langsamkeit den Vortritt lasse, überholen wir in der Spitzkehre Nr. 4. Bei ihm ist alles mögliche Überhitzt und am Dampfen… Unterwegs vor Ust Ulagan auf einem Pass lebt der Lebenskünstler Valentin. Eigentlich wollten wir nur die alten Autos fotografieren. Jedoch, bevor wir uns versahen, gab es Tee, geräucherten Fisch und Geschichten…!! Der ganz Platz ist ein Sammelsurium diverser Gegenstände.

Zurück am «Chuysky-Trakt» fahren wir weiter bis zum Zusammenfluss vom kleineren Chuya und dem mächtig Wasser führenden Katun Fluss. Unterwegs gab es ein paar interessante Sachen zu schauen, besonders eindrücklich die Felsenbilder von Yalbak Tash. 7'000 Jahre alte Zeugnisse von Besiedelung der Region. Aus der Turk Zeit Gräber mit den typischen Stehlen. Etwas Unwirklich steht im Dorf Iodoro Lenin auf einem weissen Sockel, so lässig, man denkt er macht hier Urlaub.

Bei Kurata entdecken wir zufällig wieder eine Gruppe von Hirschsteinen. Sie werden so benannt, weil sich auf ihnen immer ein symbolisches Hirschzeichen findet. Bei dieser Gruppe sehen auch wir als Laien, hier sind zwei Frauen mit einem Kind Unterwegs… In Neftenbach, pardon, den ganzen Morgen sprachen wir so über diesen Wegpunkt, dass es kaum mehr anders geht. Also in Neftebaza biegen wir nach links ab um über Ust Kan durch ein Wunderbares Gebirgstal das 300km entfernte Tyungur zu erreichen. Die ersten 200km ist das offene Tal umringt von 2'500m hohen Bergen. Getreidefelder und Blumenwiesen im wechsel mit Fichtenwäldern, einfach schön! Auf der alten Passstrasse vor Sugash verbringen wir die Nacht zusammen mit Ziegen, Schafen und einer Gruppe Pferde. Eines der Pferde trägt eine Treichel, die uns sanft ins Land der Träume bringt.

Weiter im Tal werden auf der Südseite die Berge deutlich höher. Zwischen den 3'000er blinzeln ab und an die ersten 4'000er der Katunski Kette durch. Den Belukha aber können wir erst ganz hinten im Tal, beim Örtchen Tyungur sehen! Toll wäre die Weiterfahrt entlang des Katun Flusses, er würde uns an den Ausgangspunkt vor zwei Tagen führen. Das ist jedoch nur mit einem guten Mountainbike möglich, oder zu Fuss. Nach einem Spaziergang beim Dorf, wo gerade eine neue Brücke über den Katun im Entstehen ist, nahmen wir den Rückweg in Angriff. Der gelang nicht besonders, schon nach 8km fand sich ein so schöner Platz über dem Zusammenfluss von Katun mit dem Kuragan Fluss, da mussten wir einen Ruhetag einschieben!

Im Städtchen Ust Koksa können wir uns wieder gut mit allem versorgen. Mit Erstaunen schauen wir nach den hübschen jungen Frauen, die in einer schlichten Tracht Ihrer Beschäftigung nachgehen. Erst später lesen wir über die einstmals grosse Gruppe von «alt Gläubigen» die zur Zeit von Zar Peter dem grossen hier angesiedelt wurden und ihren Glauben pflegen. Eine grosse Anzahl ist jedoch als deutsch Stämmige in den 1970er nach Deutschland zurück gewandert. Nach Perestroika gab es nochmals einen Auswanderungsschub nach Nordamerika. Gerade erkundige ich mich nach Möglichkeiten für einen Motorölwechsel, da werde ich so von einem kleinen giftigen in Uniform wegen unseren «Dokumenti» angegangen. Der Pass scheint im nicht zu genügen, immer wieder verlangt er nach dem «Dokumenti» Er ruft dann mal in seinem Auto jemanden an, vermutlich seinen Chef, und fotografiert unsere Pässe. Die Beifahrer hinten im Auto begucken sie auch intensiv (Neugier?). Die Frau mit Kind bleibt sitzen, der junge Mann in kurzen Hosen und T-Shirt bemüht sich jetzt zu vermitteln. Mit dem Handy-Übersetzungsprogramm macht er uns deutlich welch grosses Vergehen wir uns erlaubten. Er erklärt uns mühsam, was wir längst begriffen haben: Für die von uns durchfahrene Region braucht es ein «Border Permit». Etwas blöd stellen schadet nie und unsere Erklärung, nichts gewusst zu haben, müssen sie sofort dem «Chef» durchgeben. Es folgt eine hitzige Diskussion durch den Äther. Ganz enttäuscht muss der giftige uns Mitteilen, dass wir nicht weiter in das Tal hinein fahren dürfen, sondern sofort, ohne Umwege zurück auf den «Chuysky- Trakt». Die Geniesser schweigen und Nicken, dem binden wir nicht auf die Nase, dass wir schon längst zurückfahren. Nebenbei, der giftige ordne ich dem FSB zu. Inzwischen machte ich mich etwas schlauer. Das mit der Sonderzone stimmt tatsächlich und der FSB ist der ehemalige KGB…

Wir geniessen trotz allem die Rückfahrt und erlauben uns auch noch eine Übernachtung auf einem Feldweg. Zurück auf dem «Chuysky-Trakt» ist es vor allem die Blumenpracht auf den Wiesen, die uns in ihren Bann zieht. Bei der Fahrt über den Seminskiy Pass besonders intensiv! Das Wetter hat nun voll auf Dauerregen umgestellt. Entsprechend öde fanden wir den Skiort Manzherok. Der zugehörende See ist ein Witz, am besten wird er im Winter aussehen, unter einer Eisdecke zum Schlittschuh laufen. Der Hauptort Gorno Altaysk umfahren wir auf der Hauptstrasse und vor Biysk beginnen wir uns um einen Nachtplatz zu sorgen. Mit Mühe finden wir eine befestigte Stelle am Fluss. Als uns ein Lieferwägeli mitten in der Nacht Gesellschaft leisten will, fährt er prompt zu weit neben aus und setzt sich in den Schlamm. Wir hatten dann das Hörvergnügen der Bergung um 02.30h. Das gelobte Biysk, von Peter dem grossen gegründete Stadt am Ob, konnte keinen grossen Lichtpunkt setzen. Jedoch die Gastankstelle vor Ort! Sie befüllte uns zwei leere Gasflaschen (à 3kg), so können wir weiterhin unbesorgt unseren Kaffee kochen. Insbesondere da der Preis 8x günstiger ausfällt als zu Hause… In Barnaul werden wir den «Chuysky-Trakt» verlassen und nach Südwesten abbiegen, um Kasachstan zu erreichen. Neben der Strasse sind wieder die weiten Felder mit Getreide, unter anderem tausende Hektaren mit Sonnenblumen. Die werden im August ein prächtiges Bild abgeben. Inzwischen erfreuen wir uns an den kräftigen Variationen in grün.

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